„Die Herausforderung annehmen“ (…)
(…) fordert Stephan Rauhut in einem Interview mit „Schlesische Nachrichten“
Sie wurden vor einem Jahr, am 9. November 2013, zum Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien gewählt. Am 21. Juni 2014 wurden Sie in Görlitz in Ihrem Amt bestätigt. Worin sahen und sehen Sie Ihre wichtigsten Aufgaben?
Zunächst einmal war und ist es eine große Verantwortung und eine riesige Verpflichtung, die Führung der Landsmannschaft Schlesien zu übernehmen.
Die Situation unserer Landsmannschaft heute ist nicht mehr mit der Situation vor 40 oder 50 Jahren vergleichbar. Damals waren wir eine Massenorganisation. Die Heimat war durch den „Eisernen Vorhang“ weit weg und die damalige bundesdeutsche Politik hielt die deutsche Frage zum Schein — wie wir heute wissen — offen.
Die Veränderungsgeschwindigkeit hat seit dem Mauerfall vor 25 Jahren spürbar zugenommen. Wenn wir in den nächsten Jahren erfolgreich unsere Positionen vertreten wollen, dann müssen auch wir uns etwas schneller an die sich wandelnden Gegebenheiten anpassen. Wir werden viel Positives in unserer Gemeinschaft bewahren, aber an der einen oder anderen Stelle uns auch verändern müssen.
Als erstes ging es darum, die finanziell bedrohliche Situation der Bundesgruppe zu beheben – also unsere Landsmannschaft Schlesien vor einer drohenden Insolvenz zu bewahren. Das ist uns mit Hilfe der großen Spendenbereitschaft unserer Mitglieder gelungen. Der nächste Schritt war und ist, wieder Ruhe in unsere Strukturen zu bringen und das Vertrauen der Mehrheit der Delegierten zu rechtfertigen. Ich habe gemeinsam mit meinen Vorstandskollegen klare Vorstellungen, wie wir die vor uns liegenden Herausforderungen angehen wollen.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation unserer Landsmannschaft? Vielfach hört man aus Gruppen und Verbänden, dass die Überalterung ein Problem darstellt.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir gerade aufgrund der sich verändernden Rahmenbedingungen enorme Vorteile haben. Wir sind die Experten für Schlesien. Viele aus unseren Reihen haben seit Jahrzehnten wertvolle Kontakte in die Heimat aufgebaut oder dafür gesorgt, dass unser kulturelles Erbe hier im Westen eine Basis für die Zukunft hat.
Richtig ist, dass wir vielerorts in den letzten Jahren versäumt haben, unsere Kinder und Enkelkinder in die Strukturen unserer Landsmannschaft einzubinden. Hier sehe ich durchaus noch Chancen besonders in der Enkel- und Urenkelgeneration. Dort besteht zunehmend Interesse an ihrer Herkunft und ein enormer Wissensdurst. Unser aller Aufgabe wird es sein, die Enkel- und Urenkelgeneration konsequent und professionell anzusprechen. Nur dadurch werden wir uns dauerhaft wieder mitten in der Gesellschaft der Bundesrepublik aufstellen können.
Mich persönlich ärgert es maßlos, dass in den Schulen über das historische Ostdeutschland und Schlesien gar nichts mehr gelehrt wird. Traurig ist auch, dass bei den Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit dieses Jahr in Hannover auf der sogenannten Ländermeile die ostdeutschen Landsmannschaften nicht vertreten waren, als gäbe es das ostdeutsche Kulturerbe und seine Menschen in unserem Land nicht mehr. Das muss künftig anders sein!
Ein anderer Bereich, der von uns gemeinsam angegangen werden muss, ist unsere Gruppenstruktur. Sie stammt noch aus einer Zeit, als es für eine große Mehrheit der Schlesier selbstverständlich war, Mitglied unserer Landsmannschaft zu sein. Das hat sich verändert. Ältere Mitglieder gehen uns verloren, vielfach weil ihre regionalen Gruppen keine Nachfolger für den Vorstand haben und sich auflösen. Auch erreichen unsere Orts- und Kreisgruppen Austrittsmeldungen mit der Begründung des hohen Alters oder der Gebrechlichkeit. Und Jüngere verbinden noch nicht genügend für sie Interessantes mit unserer Landsmannschaft.
Führt eine Veränderung unserer Struktur nicht zu einer Verunsicherung unserer älteren Mitglieder? Ist das nicht mit Risiken für die Landsmannschaft verbunden?
Es gibt derzeit noch zwölf Landesgruppen mit sehr unterschiedlicher Stärke und Handlungsfähigkeit. Einige Landesgruppen können nur mit großer Mühe überhaupt einen Mitgliedsbeitrag an die Bundesgruppe weiterleiten.
In den Gruppen muss jetzt eine Debatte über unsere Struktur geführt werden. Sie sollte effizienter werden. Bei einigen Landesgruppen sind unsere Landsleute nicht direkt Mitglied in der Landsmannschaft, sondern im jeweiligen BdV-Landesverband. Was in den 50er Jahren als sinnvoll gegolten haben mag, reicht heute nicht mehr. Nicht nur, dass diese Landesgruppen kaum eine Möglichkeit haben, eigenständige, schlesische Gruppenarbeit anzubieten, auch dem Bundesgruppe fehlen dadurch wichtige Beitragseinnahmen, die dringend für die Arbeitsfähigkeit unserer Bundesgeschäftsstelle benötigt werden. Darüber muss auf Landes- wie auf Bundesebene auch mit den BdV-Vertretern offen gesprochen werden. Einfach zu sagen, das war schon immer so und das kann man nicht mehr ändern, bedeutet, den Untergang unserer Organisationen billigend in Kauf zu nehmen. Auch Fusionen von Landesgruppen oder völlig neue Mitgliedsorganisationen dürfen dabei kein Tabu sein.
Daneben gibt es unsere teilweise sehr aktiven Heimatgruppen der Orts- und Kreisgemeinschaften. Sie sind zwar zum Teil im Schlesischen Kreis‑, Städte- und Gemeindetag organisiert, der mit einer Stimme Mitglied unserer Bundesgruppe ist, doch das ist eindeutig zu wenig. Sehr anschaulich können wir bei unseren Freunden der Landsmannschaft Ostpreußen sehen, wie stark die Basis für die Arbeit werden kann, wenn alle Mitglieder einer Heimatkreisgemeinschaft gleichzeitig Mitglieder in der Landsmannschaft sind.
Ich glaube, dass dies auch und gerade unsere älteren Landsleute verstehen werden. Da wir kaum öffentliche Förderung erhalten, müssen wir uns künftig stärker aus eigenen Mitteln finanzieren.
Bedeutet das höhere Mitgliedsbeiträge?
Nicht zwangsläufig, obwohl die Mitgliedsbeiträge vielerorts seit vielen Jahren nicht an die Preissteigerungen angepasst worden sind. So gibt es teilweise sehr große Unterschiede in der Beitragshöhe. Hier muss über soziale Staffelungen nachgedacht werden. Denn Jahresmitgliedsbeiträge von 12,00 € oder 17,00 € sind einfach nicht mehr wirtschaftlich. Damit kann weder eine Ortsgruppe ihre Portokosten und ähnliches decken, geschweige denn, dass für die Arbeit der Landesgruppen und der Bundesgruppe etwas übrig bleibt.
Die Delegierten haben zuletzt in Görlitz dieses Jahr eine moderate Beitragserhöhung für Mitte 2015 beschlossen. Damit wollen wir zunächst einmal auskommen. Unser Ziel ist es, durch weitere Aktivitäten zusätzliche planbare Einnahmen für unsere Arbeit zu erzielen. Ein Projekt ist die Steigerung der Abonnentenzahl unserer „Schlesischen Nachrichten“ und damit auch höhere Einnahmen durch Werbe- und Familienanzeigen. Bei diesem Projekt ist jedes Einzelmitglied, jeder Schlesier und jede Mitgliedsgruppe aufgefordert, mitzuwirken. Die „Schlesischen Nachrichten“ sollen nicht nur dem Namen nach das Leitmagazin aller Schlesier sein, sondern auch tatsächlich in Auflage und Attraktivität. Darüber hinaus planen wir die Veröffentlichung von schlesischen Reiseplanern und eine Intensivierung von Reiseangeboten, die Einnahmen für die Landsmannschaft erbringen.
Wie sieht denn die Entwicklung der Einnahmen durch Spenden und Erbschaften aus?
Auf beides sind wir weiterhin dringend angewiesen! Die große Solidarität am Ende des letzten Jahres hat unsere Bundesgruppe letztlich vor der damals drohenden Insolvenz bewahrt. Auch dieses Jahr bitte ich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich um Spenden für unsere Landsmannschaft.
Bundesschatzmeister Günther Zimmermann und ich sind uns einig, dass wir uns in unserer Finanzplanung nicht auf Spenden und Erbschaften verlassen können. Beides ist den letzten Jahren drastisch zurückgegangen. Und so schön es auch ist, wenn unsere Landsleute die Landsmannschaft in ihrem Testament berücksichtigen, als noch viel wichtiger empfinde ich es, wenn unsere Mitglieder in ihren Testamenten ein Vermächtnis mit aufnehmen, worin sie ihre Erben verpflichten, die Mitgliedschaft in unserer Landsmannschaft dereinst zu übernehmen.
Welches sind die wesentlichen Herausforderungen der Landsmannschaft in den kommenden Jahren?
Eine wichtige Aufgabe bleibt die Werbung von Mitgliedern aus der Bekenntnisgeneration. Nur mit neuen und jüngeren Mitgliedern kann es mit unserer Landsmannschaft weitergehen. Nun mache ich mir keine Illusionen darüber, dass von heute auf morgen Tausende neue und junge Leute zu uns kommen werden. Auch wird nicht jede Orts- und Kreisgruppe ihre Gewohnheiten ändern können und für jüngere mögliche Mitglieder ein Forum schaffen können. Das verstehe ich. Dafür muss es eine Wiederbelebung unserer Jugendarbeit geben. Darüber hinaus kann ich mir auch gut eine enge Kooperation mit anderen ostdeutschen Jugendorganisationen vorstellen.
Unser umfassendes Ziel ist, zukünftig für Interessenten an Schlesien erster Ansprechpartner in der Bundesrepublik Deutschland zu sein, ganz gleich, ob es um touristisches, akademisches, kulturelles oder unternehmerisches Interesse geht. Dazu gehören auch der intensive Austausch mit unseren Landsleuten zu Hause und vielleicht sogar ein neuer Zusammenschluss der Schlesieninteressierten auf europäischer Ebene, denn Schlesier leben nicht nur in Schlesien oder in der Bundesrepublik Deutschland. 2015 werden 70 Jahre seit dem Beginn der Vertreibung vergangen sein, wir, die Schlesier und ihre Nachkommen, müssen versuchen, eine geschlossene Gemeinschaft zu bilden, ganz im Sinne des Mottos des Deutschlandtreffens 2015 „Gemeinsam für Schlesien!“.
Wie schon gesagt wurde: Wir sind die Experten für Schlesien!
Wir werden weder von den zwangsgebührenfinanzierten noch von den privaten Medien wahrgenommen. Deshalb habe ich in diesem Jahr die Forderung gestellt, dass bei der Neubesetzung des ZDF-Rundfunkrates die einzelnen Landsmannschaften berücksichtigt werden müssen.
Auch in der Politik ist es trotz mancher Verbesserungen noch keine Selbstverständlichkeit, das ostdeutsche Erbe als gesamtdeutsches Erbe zu betrachten. Hier ist mancher in Polen sehr viel entspannter beim Umgang mit Vertretern der Vertriebenen. Um Wahrnehmungen zu verändern, bedarf es eines langen Atems und einer starken landsmannschaftlichen Organisation mit einer professionellen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Hierfür werden wir auch die Politik – besonders in unserem Patenland Niedersachsen – stärker in die Verantwortung nehmen. Die Heimatvertriebenen und deren Erben haben nur eine Lobby, nämlich sich selbst und ihre Landsmannschaften. Die Tragik, nach der Vertreibung nirgends institutionell durch Volksvertreter in den Verfassungsorganen eine Vertretung zu erhalten zu haben, erfordert, das ganze deutsche Volk immer wieder daran zu erinnern, dass auch wir ein Teil dieses Volkes sind und unsere Kultur und unsere Landschaften sowie das von unseren Vorfahren geschaffene Eigentum verloren gegangen sind. Es bleibt also eine gesamtstaatliche Aufgabe, die Vertriebenen, ihre Erben und ihre Organisationen zu unterstützen. Ostdeutsche Kulturarbeit ist eben auch gesamtdeutsche Kulturarbeit.
Politik und Wirtschaft müssen erkennen, dass sie diesen intensiven Kontakt, den wir mit den heute in Polen lebenden Menschen, Institutionen oder Unternehmen pflegen, überhaupt nicht leisten können. Wenn Politiker ihre Sonntagsreden eines geeinten Europas ernst nehmen und mit Leben füllen wollen, dann haben sie mit den Landsmannschaften für das östliche Mitteleuropa ein riesiges Expertenpotential für Wirtschaftsbeziehungen, für akademischen Austausch, für kulturellen Austausch und für politische Verständigung.
Welche Argumente sprechen aus Ihrer Sicht dafür, in der heutigen Zeit bei der Landsmannschaft Schlesien aktiv zu sein?
Wem Schlesien am Herzen liegt, für wen Schlesien als Teil gesamtdeutscher Kultur wichtig ist, der muss einfach als Mitglied die Arbeit der Landsmannschaft Schlesien unterstützen und sich womöglich als ehrenamtlicher Mitstreiter zur Mitarbeit anbieten. Ich persönlich betrachte das als Verpflichtung meinen Vorfahren gegenüber.
Jüngere Menschen, Schüler, Studenten werden künftig noch mehr die Möglichkeit haben, gemeinsam mit Gleichaltrigen aus Schlesien Austauschprogramme mitzuerleben. Sie werden Schlesien kennenlernen, sie werden exklusive Kontakte für Praktika oder Studienplätze oder Unterkünfte über uns erhalten.
Nächstes Jahr soll es wieder ein großes Deutschlandtreffen der Schlesier in Hannover geben? Worauf dürfen wir uns freuen?
Sicher werden Sie Verständnis haben, dass ich so früh noch nicht zu viel verraten möchte.
Unser Deutschlandtreffen wird am Wochenende des 20./21. Juni 2015 im Kongreßzentrum Hannover stattfinden. Gemeinsam mit unserem Bundesgeschäftsführer Damian Spielvogel haben wir, so bin ich überzeugt, einen guten Preis mit dem Kongreßzentrum ausgehandelt, der uns bei tollem Ambiente ermöglicht, ein unvergessliches Schlesiertreffen zu erleben, ohne dass die Kosten uns das Genick brechen, wie es früher beinahe der Fall gewesen wäre.
Ganz im Sinne des verstorbenen langjährigen Bundesvorsitzenden Dr. Herbert Hupka soll das kommende Deutschlandtreffen auch zeigen, dass es uns Schlesier gibt, dass Schlesien lebt und dass wir gemeinsam für Schlesien wirken wollen!
Das Programm verspricht jedenfalls herausragend zu werden, etwas, das man alleine nie erleben würde und das im Rückblick unvergesslich bleibt. Alles zur Stärkung unserer Gemeinschaft von Schlesiern und Freunden Schlesiens!
Wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg!
ps Pressedienst Schlesien Nr. 09/2014
Presseinformationen der Landsmannschaft Schlesien — Nieder– und Oberschlesien e.V.
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