Integration ohne Identität?
Von Stephan Rauhut
Begriffsblasen von der „Willkommenskultur“ bis zu „Integrationsanstrengung“ oder „europäische Lösung“ statt “nationaler Abschottung“ sowie „Beseitigung der Fluchtursachen“ oder „islamistischer Terror habe nichts mit dem Islam zu tun“ geistern durch unsere Öffentlichkeit. Klarheit scheint bewusst vermieden zu werden. Es wird gemenschelt statt politisch gehandelt, weil suggeriert wird, dass individuelle Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit eine kollektive oder staatliche Aufgabe wäre.
Die Grenzen dessen, wer und welche institutionelle Ebene für welche Aufgabe oder Ursache zuständig und verantwortlich ist, wird verwischt. Das ist so im Kleinen bei uns in den Städten, Kreisen und Bundesländern, wo Kompetenzen und Verantwortlichkeiten abgegeben werden. Das ist auch so im Großen, wo unter der sogenannten europäischen Lösung eher verstanden wird, dass die Interessen einzelner EU-Mitgliedsstaaten und der von ihnen vertretenen Menschen nicht so schwer wiegen. Frei nach dem Motto des Geisterfahrers auf der Autobahn, der die Polizei anruft, dass ihm hunderte Geisterfahrer entgegen kommen.
So hat Österreich gemeinsam mit den Balkanstaaten (ohne Griechenland) mit der Grenzschließung auf der Balkanroute eine wirkliche europäische Lösung gefunden, die wirkt. Die Zahlen der vielfach unregistrierten Zuwanderer und Flüchtlinge, die in Österreich oder Deutschland ankommen, sind stark zurückgegangen. Anstatt dankbar zu sein für dieses politische Handeln, wird die österreichische oder ungarische Regierung seitens der europäischen Institutionen oder der bundesdeutschen Regierung mit Vorwürfen der Abschottung, Eigenmächtigkeit oder gar Unmenschlichkeit überzogen. Europäische Solidarität wird eingefordert bei der Aufnahme und Verteilung von zugewanderten Menschen, wobei verkannt oder unterschlagen wird, dass Politik die Interessen ihrer Wähler und Bürger zu vertreten hat und Solidarität individuell und kein institutioneller Selbstzweck ist.
Die Unmenschlichkeit, die unterstellt wird, will sagen, dass Menschen, die Zuflucht vor Krieg und Verfolgung suchen und unmittelbar um Leib und Leben fürchten müssen, abgewiesen werden. In der Türkei, Griechenland, Tunesien oder Algerien und Marokko gibt es keinen Krieg. Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten sind unter den Ankommenden. Das stimmt. Aber Leib und Leben werden in den Staaten, aus denen sie nach Europa und Mitteleuropa einreisen wollen, nicht mehr bedroht. Vielmehr versagten die Institutionen Europas und der Vereinten Nationen bei der Versorgung der Menschen in den Flüchtlingslagern in den Anrainerstaaten der Kriegsgebiete in Syrien und dem Irak. Bewusst? Die europäische Grenzsicherung FRONTEX wurde ihrem Namen nicht gerecht. Menschlich wäre ein schneller Natoeinsatz im Mittelmeer gewesen, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Auch durch den Aufbau von sicheren Aufnahmezentren an den Küsten, von denen sich die Menschen von Schleppern in Nussschalen und Schlauchbooten auf den Weg über das Meer machen, wären Menschenleben gerettet worden und Zuwanderung hätte geordnet erfolgen können. Warum ist das nicht geschehen?
Seit Jahrzehnten leben bereits Millionen Menschen arabischer, maghrebinischer, türkischer, persisch/iranischer oder afghanischer und pakistanischer Herkunft in Europa. Tatsächlich gibt es darunter viele, die sich erfolgreich in unsere Gesellschaften integriert haben, erfolgreich sind, Steuern und Abgaben zahlen und denen es viel bedeutet, in unserem Land zu leben. Allerdings müssen wir vor dem Hintergrund der fast 1,5 Millionen Zuwanderer der letzten Monate konstatieren, dass „die Anstrengungen für eine Integration zu erhöhen“ eine vielfach vollkommen unrealistische Worthülse ist. Denn es sind eben keine Einzelfälle, wo in den Vorstädten von Paris, Marseille, Brüssel, in Duisburg-Marxloh, Berlin-Neukölln, Bonn-Tannenbusch oder anderswo Integration in der Vergangenheit nicht gelungen ist. Wie viele dieser sogenannten NoGo-Areas werden, können wir künftig in Europa noch tolerieren, zumal besonders häufig die dritte oder vierte Generation von muslimischen Zuwanderern, Gastarbeitern der Vergangenheit sich von der westlichen Gesellschaft und der freiheitlichen Demokratie abwenden.
Ach ja, „Flüchtlingskrise“ und Terror sollen wir ja nicht verknüpfen, sagt uns so manches Medium oder Politiker. Ist das wirklich wahr, dass der Islam mit dem islamistischen Terror und dass die unkontrollierte Zuwanderung mit den jüngsten Terroranschlägen in Paris oder Brüssel nichts zu tun haben? Von Hunderttausenden, die bei uns angekommen sind oder Dank der Menschlichkeit der Bundesregierung hineingelassen wurden, wissen unsere Sicherheitskräfte weder wer sie sind noch wo sie sich aufhalten. Aus den Nachrichten der öffentlich rechtlichen Sender konnte ich entnehmen, dass ein Teil der Attentäter von Paris und Brüssel in Deutschland als syrische Flüchtlinge registriert wurden. Einige von ihnen sind weiterhin untergetaucht. Warum haben wir keine größeren Probleme mit Gewalt, Integration oder Radikalisierung bei jüdischen Zuwanderern aus Russland, bei Flüchtlingen und Auswanderern aus dem früheren Jugoslawien oder bei früher Geflüchteten aus Vietnam oder Chile? Hat Separierung, Ablehnung westlicher Kultur und Radikalisierung wirklich nichts mit dem Islam zu tun?
Als Ursache für die Radikalisierung junger Menschen, deren Eltern oder Großeltern aus muslimischen Ländern zugewandert sind, wird immer wieder die Suche nach Identität genannt. Unsere westliche Gesellschaft gebe ihnen keinen Halt und sie fänden in unseren Städten die Art von sündiger Lebensweise wieder, von denen ihnen ihre extremen Imame oder Terroristenrekruteure immer wieder gepredigt haben. Das macht mich nachdenklich.
Nicht nur durch das Aufweichen unseres Staatsbürgerschaftsrechtes oder durch die ins Leere laufenden Debatten der Vergangenheit um die multikulturelle Gesellschaft, um Leitkultur oder ob wir ein Einwanderungs- oder ein Zuwanderungsland sind, haben wir unsere Gesellschaft im Inneren und aus Sicht bestimmter Zuwanderergruppen geschwächt.
Auch unser kulturelles Selbstverständnis und damit ein festes Fundament für Identität, Zufriedenheit der Menschen und gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit die eigentliche Basis für Integration von Menschen aus fremden Kulturen und Religionen in hoher Zahl, scheinen wir in Deutschland aufgegeben zu haben. Das soll nicht wahr sein? Es soll reichen, wenn die Menschen erklären, dass sie sich zu unserem Grundgesetz bekennen? Verfassungspatriotismus ohne den Geist, die Kultur und die Geschichte, aus denen unser Grundgesetz entstanden ist, wird niemanden ausreichend davon überzeugen, ein stolzer, integrierter Staatsbürger unseres Landes zu sein, so dass er im Notfall auch bereit ist, es gegen Angriffe zu verteidigen – egal, ob diese Angriffe von außen kommen oder von entwurzelten Extremisten von innen.
In nur wenigen Ländern in Europa und der Welt gilt das Eigene so wenig wie bei uns. Volkslieder singen, Volkstanz und Volksmusik wird seit den siebziger Jahren verpönt – in Norwegen, Polen, Schweden, Irland beispielsweise undenkbar. Schulkinder können, wenn überhaupt, höchstens englischsprachige Hits mitsingen. Veranstaltungen wie die britische „Last night of proms“ mit patriotischer Musik und Fahnenschwenken wären in Deutschland nicht vorstellbar. Alles Patriotische und Identitätsstiftende wird mit dem Verweis auf das nationalsozialistische Unrechtsregime abgelehnt – vielfach bereits in vorauseilendem Gehorsam. Das Niedersachsenlied, welches früher um Mitternacht im NDR-Radio gespielt wurde, wurde von einer linken Intendantin bereits vor mehr als 2 Jahrzehnten aus dem Programm genommen. Über das Brandenburgerlied brach die politische Linke vor einigen Jahren eine Debatte vom Zaun. Die Lehrstühle an Universitäten in Nordrhein-Westfalen, die sich mit ostdeutscher Kultur und Geschichte befassten, wurden, erst vor kurzem ausgerechnet von einer bürgerlichen Regierung abgeschafft. Städtepatenschaften mit ostdeutschen Städten, die heute in Polen oder Russland liegen, haben viele Städte gemeinsam mit den Landsmannschaften zu erfolgreichen Partnerschaften weiterentwickelt. Sehr viele Patenschaften allerdings wurden – zumeist von rot-grünen Mehrheiten – mit dem Verweis gekündigt, dass diese Erinnerung an die Herkunft der Vertriebenen und ihre Kultur nicht mehr zeitgemäß sei. Das war so in Bonn und seinen Patenschaften zu Oppeln in Schlesien und Stolp in Pommern vor 20 Jahren und das war erst vor wenigen Jahren in der Region Hannover durch den noch amtierenden Regionenpräsidenten Hauke Jagau, als die Patenschaften zu Militsch-Trachenberg, Löwenberg, Arnswalde und Heiligenbeil aufgekündigt wurden. Solche Ignoranz gegenüber einem wesentlichen Teil deutscher Kultur und vor dem Leid der deutschen Heimatvertriebenen führt auch dazu, dass die Erinnerungskultur vor Ort in den Heimatstuben der integrierten Vertriebenen aus Ostdeutschland oder dem Sudetenland verloren geht. Die Menschen verlieren den Bezug zu ihren Wurzeln. Das widerspricht eben auch der sonst so viel gepriesenen europäischen Idee von Subsidiarität.
Die für Kultur und Identität wahrscheinlich prägendsten Faktoren sind Sprache, Geschlecht und Religion. Dass mit Steuermilliarden, die an Genderlehrstühle gezahlt werden, unsere Sprache verhunzt wird, scheint für viele Politikerinnen und Politiker bereits in Fleisch und Blut übergegangen zu sein. Dass einige Landesbildungspolitiker beginnen, die geschlechtliche Identität unserer Kinder verschieben zu wollen anstatt ihre Schreib‑, Lese- und Rechenfähigkeiten oder Allgemeinbildung zu verbessern, trägt dazu bei, dass das Verständnis für die eigene Kultur und Identität fehlen wird, wenn es besonders gebraucht wird.
Was bleibt? In den letzten 2000 Jahren wurde unsere Identität wesentlich durch das Christentum, das Judentum und die Kirchen geprägt. Und heute? Was Nationalsozialismus und Kommunismus an Identitätszerstörung nicht geschafft haben, schaffen heute Gleichgültigkeit und Verweltlichung der Kirchen und eine weitverbreitete religionsfeindliche Einstellung in der Gesellschaft.
Wir schaffen das? Nun ja, dann haben wir viel zu tun!
Zum Kalkül Stalins gehörte es, dass die Millionen Vertriebenen aus Ostdeutschland und den mittel- und osteuropäischen Siedlungsgebieten die westlichen Besatzungszonen destabilisieren. Dass dies nicht gelungen ist, liegt an der gemeinsamen Sprache und Religion sowie an der richtigen Erkenntnis, dass Kultur und Identität lebensnotwendig für eine Gesellschaft und ihren Zusammenhalt sind. Der § 96 des Bundesvertriebenengesetzes, der Bund und Länder verpflichtet, das ostdeutsche Kulturerbe zu pflegen, zeugt von diesem Bewusstsein.
Zuwanderung durch Rechtsbruch ist keine gute Basis für Integration. Integration in eine Gesellschaft der Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Kultur und der Verwirrung hinsichtlich der eigenen Identität wird nicht zu schaffen sein. Selbst starke Gesellschaften, wie die 25 glücklicheren Staaten, die laut dem „World happiness report“ glücklicher sind als das wohlhabende Deutschland, schaffen Integration nur durch eine kontrollierte und begrenzte Zuwanderung.
ps Pressedienst Schlesien Nr. 04/2016
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