Schlesien lebt…

Von Ste­phan Rauhut 

Schle­si­en lebt.…. die­ser Aus­spruch Her­bert Hup­kas — und gleich­zei­tig der Titel sei­nes letz­ten Buches — ist heu­te wah­rer denn je. 

Sicher, es ist nicht mehr die deut­sche Pro­vinz, die die Erleb­nis­ge­ne­ra­ti­on der ver­trie­be­nen deut­schen Schle­si­er in Erin­ne­rung hat. Es ist auch nicht mehr das­sel­be Land der hei­mat­ver­blie­be­nen Schle­si­er, deren Kul­tur und Spra­che zu kom­mu­nis­ti­scher Zeit in Polen unter­drückt und ver­bo­ten war. Es ist heu­te eine euro­päi­sche Regi­on, die für die heu­te dort leben­den Volks­grup­pen iden­ti­täts­stif­tend wirkt. Schle­si­sche Iden­ti­tät wird im Lan­des­teil Mäh­risch-Schle­si­en in der Tsche­chi­schen Repu­blik genau­so gepflegt und wert­ge­schätzt, wie in den drei Woi­wod­schaf­ten Nie­der­schle­si­en, Oppeln und Schle­si­en in der Repu­blik Polen. Ein­zig im bei Deutsch­land ver­blie­be­nen Teil der nie­der­schle­si­schen Ober­lau­sitz im Frei­staat Sach­sen wird etwas stief­müt­ter­lich mit dem schle­si­schen Anteil umge­gan­gen. Bei allen erfreu­li­chen Fort­schrit­ten ist es jedoch bis­lang nicht gelun­gen, sei­tens des offi­zi­el­len Polens oder Tsche­chi­ens ver­gleich­ba­re Ges­ten und Wor­te des Bedau­erns über die völ­ker­rechts­wid­ri­gen Ver­trei­bun­gen und Ent­eig­nun­gen zu errei­chen, wie das Ungarn, Est­land oder Ser­bi­en bei­spiels­wei­se vor­ge­macht haben. 

Durch sei­ne grenz­über­schrei­ten­de geo­gra­phi­sche Lage und das zuneh­men­de Inter­es­se der Men­schen an die­sem Land fällt Schle­si­en — und damit der Lands­mann­schaft Schle­si­en — eine beson­de­re Rol­le in Euro­pa zu. An weni­gen grenz­über­schrei­ten­den Regio­nen Euro­pas ist der Hei­lungs­pro­zess der Ver­let­zun­gen, die im Namen der Völ­ker durch men­schen­ver­ach­ten­de Regime im 20. Jahr­hun­dert gesche­hen sind, so gut zu beob­ach­ten. Die Bewah­rung des kul­tu­rel­len Erbes funk­tio­niert weit­ge­hend gut. Die deut­sche Volks­grup­pe in Schle­si­en fin­det ihren Weg in die Zukunft, auch wenn viel Arbeit noch vor ihr und uns liegt. Denn bei der Stär­kung der deut­schen Mut­ter­spra­che und bei der Gleich­be­rech­ti­gung in der pol­ni­schen Mehr­heits­ge­sell­schaft gibt es im Ver­gleich zu ande­ren Volks­grup­pen und Min­der­hei­ten in Euro­pa noch vie­le Defizite. 

Kurz und gut: In Schle­si­en ist meis­ten­teils von Resi­gna­ti­on nichts zu spü­ren, trotz aller Defi­zi­te Polens beim Min­der­hei­ten­schutz nicht bei der deut­schen Volks­grup­pe und nicht bei den heu­te in Schle­si­en leben­den Polen und Tschechen. 

In der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land dage­gen begeg­net mir trotz her­vor­ra­gen­der Bei­spie­le schle­si­scher Akti­vi­tä­ten viel Resi­gna­ti­on und viel Schmo­ren im sprich­wört­li­chen eige­nen Saft. Schle­si­sche kul­tu­rel­le Arbeits­krei­se oder Hei­mat­kreis­ge­mein­schaf­ten glau­ben außer­halb der lands­mann­schaft­li­chen Gemein­schaft eine Zukunft zu haben. Es gibt Amts­trä­ger in lands­mann­schaft­li­chen Grup­pen oder Hei­mat­grup­pen, die mei­nen, dass ohne ihre Per­son die Grup­pen kei­ne Zukunft hät­ten und dadurch nicht nur nicht für Nach­wuchs in den Grup­pen sor­gen, son­dern allen Erns­tes die Auf­lö­sung ihrer Grup­pen vor­an­trei­ben, obwohl die Mit­glie­der häu­fig noch zahl­reich sind. Alle Mög­lich­kei­ten, durch Fusio­nen mit benach­bar­ten Grup­pen oder Über­füh­rung der Lands­leu­te als Ein­zel­mit­glie­der in die Bezirks- oder Lan­des­grup­pen – bis hin zur Bun­des­grup­pe, die Zahl der Mit­glie­der und damit die Lands­mann­schaft zu erhal­ten, wer­den offen­bar aus­ge­blen­det. Oft habe ich gehört, das funk­tio­nie­re nicht mit den jun­gen Leu­ten. Die Vel­ber­ter Orts­grup­pe der Schle­si­er weiß das offen­bar nicht: Sie wirbt ein­fach immer mehr jün­ge­re Mitglieder. 

Oft höre ich, die Mit­glie­der könn­ten nicht davon über­zeugt wer­den, dass es wei­ter gehen müs­se. Aber selbst wenn alle sagen, dass etwas nicht geht, gibt es irgend­wann jeman­den, der das nicht weiß und es ein­fach macht. In der Lan­des­grup­pe Baden-Würt­tem­berg wuss­te man letz­tes Jahr von die­sem „Geht nicht“ nichts und grün­de­te ein­fach eine neue Kreis­grup­pe und eine bereits beschlos­se­ne Auf­lö­sung einer Grup­pe konn­te zurück­ge­nom­men wer­den, um mit einer Nach­bar­grup­pe zu fusio­nie­ren. Tat­säch­lich gibt es Bei­spie­le, dass Mit­glie­der­zah­len in Kreis­grup­pen stei­gen, so zum Bei­spiel in Her­ne, wo durch einen Mit­glie­der­wer­be­wett­be­werb und durch attrak­ti­ve Rei­sen neue Mit­glie­der gewon­nen werden. 

Eine Fusi­on oder eine enge­re Zusam­men­ar­beit zwi­schen unse­rer Lands­mann­schaft Schle­si­en und der Lands­mann­schaft der Ober­schle­si­er sei nicht mög­lich, hör­te ich oft. Der his­to­ri­sche und kul­tu­rel­le Unter­schied sei zu groß. Jetzt haben bei­de Bun­des­vor­stän­de eine enge­re Zusam­men­ar­beit der schle­si­schen Bun­des­lands­mann­schaf­ten beschlos­sen und die Grup­pen vor Ort ermu­tigt, gemein­sa­me Ver­an­stal­tun­gen zu orga­ni­sie­ren und sich gemein­sam zu treffen. 

Auch über Bei­trags­er­hö­hun­gen höre ich von man­chen, dass es unmög­lich sei, die Mit­glie­der­zah­len zu hal­ten, wenn seit Jah­ren gleich­blei­ben­de Jah­res­bei­trä­ge von 12, 15 oder 20 Euro ange­passt wer­den sol­len auf 25 oder 30 Euro. Unmög­lich? Wie konn­ten dann in Bonn oder Köln die Bei­trä­ge in den ver­gan­ge­nen Jah­ren auf 40,- Euro ange­ho­ben wer­den mit der Opti­on auf eine Erhö­hung auf 50,- Euro und kein ein­zi­ges Mit­glied ging verloren? 

Das heißt: Ob einer von uns glaubt, wir schaf­fen etwas oder ein ande­rer, wir schaf­fen etwas nicht — Es haben bei­de recht. Las­sen Sie uns also gemein­sam unse­re Ein­stel­lung überprüfen. 

Ich fin­de, es ist Zeit umzu­den­ken. Wir sind es den leben­den und toten Opfern der Ver­trei­bung aus unse­rer ost­deut­schen Hei­mat schul­dig, dass in einer star­ken Lands­mann­schaft Schle­si­en, Nie­der – und Ober­schle­si­en ihrer auch in Zukunft noch gedacht wer­den kann. Wenn wir als ver­trie­be­ne Schle­si­er und deren Nach­kom­men und Freun­de nicht als Anwalt unse­res deut­schen schle­si­schen Erbes als Teil des gesamt­deut­schen Erbes auf­tre­ten, wird es in Ver­ges­sen­heit gera­ten oder — noch schlim­mer — ver­fälscht werden. 

Des­halb rufe ich alle Lands­leu­te in der Lands­mann­schaft, in den Hei­mat­grup­pen, in den Arbeits­krei­sen, Stif­tun­gen, Gemein­schaf­ten oder Stamm­ti­schen auch außer­halb unse­rer Lands­mann­schaft zur Einig­keit auf, damit die Kräf­te gebün­delt wer­den kön­nen. Steht nicht außer­halb der Lands­mann­schaft Schlesien! 

Bevor wir in der Flä­che der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nicht mehr wahr­ge­nom­men wer­den, gilt es zusam­men­zu­ge­hen. Wer­det aktiv und sprecht mit Euren Nach­bar­grup­pen über ein Zusam­men­ge­hen. Neue Ideen für Ver­an­stal­tun­gen kön­nen jun­ge Men­schen begeis­tern mit­zu­ma­chen. Grün­det neue Gruppen! 

Bun­des­län­der­gren­zen kön­nen über­schrit­ten wer­den und neue Lan­des­grup­pen ent­ste­hen, zum Bei­spiel im Nor­den oder in Mit­tel­deutsch­land. Hei­mat­grup­pen der schle­si­schen Städ­te und Krei­se kön­nen den Schle­si­schen Kreis‑, Städ­te- und Gemein­de­tag und damit die gesam­te Bundesdelegiertenversammlung/Schlesische Lan­des­ver­tre­tung brei­ter auf­stel­len. Das führt zu einer Stär­kung der gan­zen schle­si­schen Sache. Wir wer­den wie­der stär­ker wahr­ge­nom­men in der bun­des­deut­schen Öffent­lich­keit. Nie­mand kann dann Schle­si­ens Anteil an Deutsch­land ignorieren! 

Las­sen wir das Mot­to unse­res Deutsch­land­tref­fens „Gemein­sam für Schle­si­en“ eben­so wahr wer­den, wie es der Satz von Her­bert Hup­ka ist: „Schle­si­en lebt!“ 


ps Pres­se­dienst Schle­sien Nr. 03/2016
Pres­se­in­for­ma­tio­nen der Lands­mann­schaft Schle­sien — Nie­der– und Ober­schle­sien e.V.
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